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Nena Brockhaus: Die Politik muss den Kontakt zur Lebensrealität halten

Ein Buch über Steuerverschwendung auf Platz 1 der SPIEGEL-Bestsellerliste – was sagt das über unser Land aus? Ziemlich viel, findet Nena Brockhaus. Sie hat aufgedeckt, wie absurd manche Ausgaben wirklich sind – von sinnlosen Fähren bis zu Millionen für Projekte ohne Wirkung.

Im Gespräch mit finanzielle erklärt Nena, warum der Staat kein Einnahmen-, sondern ein Ausgabenproblem hat, was sich dringend ändern muss – und warum Bürger:innen wieder lauter werden sollten.

Dein Buch war mehrere Wochen in den Verkaufscharts. Was sagt das über unser Land und die Politik aus, wenn ein Buch über Steuerverschwendung so viel Anklang findet?

Dass ein Buch über Steuerverschwendung so viel Resonanz findet und auf Platz eins der SPIEGEL-Bestsellerliste einsteigt, zeigt das große Bedürfnis vieler Menschen nach mehr Transparenz und Verantwortlichkeit im Umgang mit Steuergeldern in Deutschland. Die anhaltende Berichterstattung über ineffiziente Ausgaben, Fehlplanungen und wachsende Bürokratie – wie sie jährlich im Schwarzbuch des Bundes der Steuerzahler dokumentiert werden – hat das Vertrauen vieler Bürger in die Politik und Verwaltung erschüttert.

Beispiele für Steuerverschwendung gibt es viele – manche absurd, andere einfach nur erschreckend. Was hat dich bei der Recherche am meisten schockiert oder überrascht?

Mich hat die Vielzahl und Bandbreite der Fälle überrascht. Sowohl die kleinen als auch die großen. Nehmen wir einmal eine unbrauchbare Solarfähre in Schleswig-Holstein, die vier Millionen Euro gekostet hat, oder ein Lärmaktionsplan für 6.000 Euro in einer Gemeinde ohne Lärmquellen. Besonders schockierend finde ich, dass trotz wiederholter Kritik weiterhin Millionen in Projekte fließen, die nachweislich keinen Nutzen bringen, wie etwa das Landesgestüt Redefin in Mecklenburg-Vorpommern, das allein zwischen 2020 und 2025 mit 16,5 Millionen Euro bezuschusst wurde. Auch Großprojekte wie die Northvolt-Insolvenz, bei der Bund und Land Schleswig-Holstein voraussichtlich 600 Millionen Euro verlieren werden, zeigen die Dimension des Problems. Wichtig ist hier: Ob und wie viel von den 600 Millionen Euro tatsächlich verloren geht, entscheidet sich im weiteren Verlauf des Insolvenzverfahrens.

Nena Brockhaus: "Mehr Geld als Verstand"

Du betonst immer wieder, dass wir kein Einnahmen-, sondern ein Ausgabenproblem haben. Welche drei konkreten Maßnahmen fallen dir – nach der Recherche für dein Buch – spontan ein, um den Staatshaushalt effizienter zu gestalten? Und wie viel Geld könnte man damit einsparen?

Drei zentrale Maßnahmen wären. Erstens: Systematische und unabhängige Ausgabenüberprüfungen (Spending Reviews) für alle größeren Projekte und Programme, um Effizienz und Wirkung zu messen und Fehlentwicklungen frühzeitig zu stoppen. Zweitens: Stärkere Verknüpfung von Förderungen und Subventionen an messbare Ziele und regelmäßige Evaluation, damit ineffiziente Programme konsequent gestrichen werden. Drittens: Begrenzung der Beraterkosten und konsequente Nutzung vorhandener Verwaltungsexpertise, um externe Gutachten nur dort einzusetzen, wo sie wirklich nötig sind. Laut Bundesrechnungshof und Bund der Steuerzahler versickern jährlich Milliarden Euro durch ineffiziente Bürokratie und Fehlentscheidungen. Das Einsparpotenzial liegt im hohen einstelligen Milliardenbereich pro Jahr.

Wenn die Lösungen so oft offensichtlich sind – warum macht es dann deiner Meinung nach niemand?

Häufig fehlt der politische Wille, weil Einsparungen kurzfristig unpopulär sind und Widerstände hervorrufen – etwa durch Lobbygruppen oder betroffene Regionen. Es gibt kaum persönliche Konsequenzen für Fehlentscheidungen. Viele Projekte werden politisch motiviert gestartet, nicht weil sie langfristig sinnvoll sind. Zudem ist Sparen in der öffentlichen Wahrnehmung selten attraktiv, was Politiker zusätzlich abschreckt. Ich finde, wir müssen gesellschaftlich dahin kommen, dass Politiker, die sparen, gelobt und nicht gescholten werden.

Wie könnten wir aus deiner Sicht mehr Spardisziplin in Behörden und Ministerien verankern? Welche Anreize oder auch Konsequenzen wären dafür nötig?

Spardisziplin lässt sich stärken, indem Budgets an Zielerreichung und Effizienz gekoppelt werden. Behörden könnten bei nachweislich effizientem Mitteleinsatz mehr Spielraum erhalten, bei Verschwendung sollten hingegen Konsequenzen für Verantwortliche drohen. Regelmäßige externe Prüfungen und eine stärkere öffentliche Berichterstattung über Fehlleistungen würden den Druck zusätzlich erhöhen.

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Ein Punkt, den du kritisierst, sind die enorm gestiegenen Beraterkosten. Gleichzeitig wurden unter der Ampel über 11.000 neue Beamtenstellen geschaffen. Ist die Welt wirklich so viel komplexer geworden – oder will einfach niemand mehr Verantwortung übernehmen, sodass sich alle gegenseitig absichern?

Die Welt ist komplexer geworden, aber viele Beratungsleistungen entstehen auch aus Unsicherheit und dem Wunsch, Verantwortung abzugeben oder sich abzusichern. Wenn für jede Entscheidung externe Gutachten eingeholt werden, sinkt die Eigenverantwortung der Verwaltung. Gleichzeitig wächst die Bürokratie, ohne dass die Effizienz steigt.

Du sagst, viele Politiker kennen den Wert der Arbeit nicht mehr. Was müsste sich ändern, damit sie wieder näher an der Realität der Bürger sind? Reicht es, mehr Menschen aus der Wirtschaft in die Politik zu holen?

Mehr Quereinsteiger aus der Wirtschaft können helfen, aber entscheidend ist, dass Politiker regelmäßig den Kontakt zur Lebensrealität der Bürger suchen und sich an Ergebnissen messen lassen. Kompetenz sollte vor Parteikarriere gehen, und der Austausch zwischen Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft muss gestärkt werden. Eine Personalie, die mich im neuen Kabinett gefreut hat: Wirtschaftsministerin Katherina Reiche. Sie verbindet fulminant Politikerfahrung und Wirtschaftsexpertise.

Glaubst du, dass unser politisches System überhaupt noch reformierbar ist – oder bräuchte es eigentlich einen kompletten Neustart, eine Art Reset-Knopf?

Das System ist reformierbar, aber es braucht mehr Mut zu echten Veränderungen und weniger Angst vor kurzfristigen Widerständen. Ein kompletter Neustart ist weder realistisch noch notwendig – aber ein Mentalitätswandel hin zu mehr Verantwortungsbewusstsein und Transparenz ist dringend geboten.

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Welche konkreten Gefahren siehst du durch die anhaltende Steuerverschwendung – für den Staat, für die Gesellschaft, für das Vertrauen in die Politik?

Steuerverschwendung untergräbt das Vertrauen der Bürger in Staat und Politik, fördert Politikverdrossenheit und begünstigt populistische Strömungen. Sie schwächt die Akzeptanz notwendiger Investitionen und gefährdet langfristig die Handlungsfähigkeit des Staates, weil immer mehr Mittel ineffizient gebunden werden.

Wie viel Verantwortung tragen wir als Bürger selbst? Sind wir zu bequem geworden, wenn es darum geht, Missstände anzusprechen und politische Entscheidungen kritisch zu hinterfragen?

Wir Bürger tragen eine große Mitverantwortung. Die Unterstützung für Entwicklungsausgaben und internationale Projekte nimmt laut aktuellen Studien ab, weil viele Menschen die eigene wirtschaftliche Lage zunehmend kritisch sehen und Sparpotenziale im Staatshaushalt fordern. Mehr Beteiligung, Nachfragen und auch Protest sind notwendig, um Veränderungen anzustoßen.

Wünschst du dir manchmal mehr Wut in der Bevölkerung – im Sinne von gesundem, konstruktivem Zorn über den Umgang mit unserem Steuergeld?

Ja, ein gesunder, konstruktiver Zorn ist wichtig, um Veränderungen zu erzwingen. Nur wenn Bürger Missstände laut und klar ansprechen, entsteht der nötige Druck auf Politik und Verwaltung, verantwortungsvoller mit Steuergeld umzugehen.

Wenn du für einen Tag Finanzministerin wärst – was wäre deine erste, ganz konkrete Entscheidung?

Ich würde sofort eine umfassende, unabhängige Überprüfung aller laufenden Großprojekte und Förderprogramme anstoßen – mit dem Ziel, ineffiziente Ausgaben zu stoppen und die freiwerdenden Mittel gezielt in Bildung, Digitalisierung und Zukunftsinvestitionen zu lenken.

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