Psychoterror am Arbeitsplatz: Wenn Mobbing den Alltag zerstört
Es war der traurige Höhepunkt jahrelanger Attacken. Vor versammelter Belegschaft wurde Bianca von ihrer Chefin des Diebstahls bezichtigt. „Für sie war ich sofort die Schuldige“, erzählt die 50-Jährige. „Sie hat mich im Beisein der Kolleg:innen dazu gezwungen, Geld aus meinem Portemonnaie zu nehmen und in die Kasse zu legen.“ Obwohl sich das Ganze später als Missverständnis herausstellte, hat sich die Chefin dafür nie bei ihr entschuldigt. Der Schmerz darüber sitzt noch tief. „Heute würde ich mich nicht mehr so einschüchtern lassen, aber zu dem Zeitpunkt hatte ich einfach nicht mehr die Kraft, mich zu rechtfertigen und zu wehren“, sagt die Pädagogin.
Konflikte sind etwas ganz Normales, doch was Bianca erlebte, ist systematisches Mobbing am Arbeitsplatz. Über Jahre hinweg hatte die Chefin ihr Selbstvertrauen gezielt untergraben und sie damit gleichzeitig an sich gebunden. „Sie hat mir ständig zu verstehen gegeben, dass ich nichts kann und dankbar sein muss, dass ich für sie arbeiten darf“, erzählt Bianca. Die Pädagogin zweifelte zunehmend selbst an ihren Fähigkeiten und glaubte schließlich, dass kein anderer Arbeitgeber sie nehmen würde. Gefühle der Hilflosigkeit und Ausweglosigkeit machten sich bei ihr breit.
Warum passiert Mobbing so häufig?
Bianca ist kein Einzelfall, wie Siglinde Lösch weiß. Die zertifizierte Mediatorin engagiert sich seit vielen Jahren bei der Mobbing Beratung München. Der Verein hat zusammen mit anderen Initiativen einen offenen Brief an die Ampelregierung geschrieben und – mit Erfolg – eine neue wissenschaftliche Untersuchung zu dem Thema eingefordert. Der letzte Mobbing-Report der Bundesregierung liegt mittlerweile mehr als 20 Jahre zurück. Die Gewerkschaft Ver.di schätzt, dass aktuell rund 1,8 Millionen Erwerbstätige von Mobbing am Arbeitsplatz betroffen sind. Siglinde Lösch kennt die Gründe, warum Menschen anderen das Leben zur Hölle machen. „Es kann Neid auf die Kollegin sein, weil sie mehr gelobt wird oder ein erfülltes Privatleben hat. Mobbing ist für viele auch ein Ventil, um Dampf abzulassen oder von eigenen Unzulänglichkeiten abzulenken“, erklärt die Mediatorin. „Wenn Frauen von Männern schikaniert werden, äußert sich das häufig in sexuellen Anspielungen, abwertenden Sprüchen übers Aussehen oder die Arbeitsleistung, nach dem Motto: Das kann nur ein Mann, kümmere du dich um die Kinder.“ Lösch hat die Erfahrung gemacht, dass Männer häufiger von Männern gemobbt werden, Frauen gleichermaßen von Männern und Frauen. Generell melden sich mehr Frauen als Männer bei ihr. Etwa 60 Prozent der Anruferinnen sind Erzieherinnen oder Altenpflegerinnen.
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Was hilft bei Mobbing am Arbeitsplatz?
In der Theorie klingt es einfach, die Mobber zur Rede zu stellen und zur Rechenschaft zu ziehen – in der Praxis ist es das oft leider nicht. Bianca hatte in ihrer Einrichtung mehrfach mitbekommen, was mit Kolleg:innen geschah, die sich an den Betriebsrat wendeten. „Die Situation wurde für sie danach noch schlimmer“, schildert die Pädagogin. „Ich habe gedacht: Dasselbe wird auch mir passieren, wenn ich mich beschwere.“
Vorsicht vor Narzisst:innen!
Besonders schwer wird es, wenn Betroffene es mit narzisstischen Vorgesetzten zu tun haben. „Diese Menschen brauchen ständig jemanden, den sie unterdrücken können, um sich selbst aufzuwerten“, so Lösch. „Firmen erkennen aber zunehmend, dass, wenn Narzisst:innen eine Abteilung führen, oft schnell Konflikte, Streitereien und Ängste bei Mitarbeiter:innen entstehen.“ Die Mediatorin rät, zwei Dinge zu beherzigen: Keine Angst zeigen und auf keinen Fall in einen offenen Dialog oder Konflikt gehen. Narzisst:innen fahren dann die richtig schweren Geschütze auf. Besser sei es, während der Attacken innerlich Abstand zu nehmen und – zumindest nach außen hin – gelassen zu bleiben. „Das bringt Narzisst:innen aus dem Konzept“, sagt Lösch. „Wenn ihre Spitzen ins Leere gehen, hören sie auf – und suchen sich ein neues Opfer.“ Schätzungen zufolge geht über ein Drittel aller Mobbingfälle aufs Konto von Vorgesetzten, auch „Bossing“ genannt.
Frauen als Mobbingopfer
Frauen werden allein wegen ihres Kinderwunschs zur Zielscheibe von Anfeindungen. Julia hat das am eigenen Leib erfahren. Die 40-Jährige arbeitete als Consultant in Vollzeit bei einer Agentur. „Meine Chefin hat selbst keine Kinder. Als ich sie darüber informierte, dass ich schwanger bin, tat sie zunächst erfreut, doch schon am nächsten Tag war davon nichts mehr zu spüren“, erzählt Julia. „Ich sollte plötzlich ein Projekt übernehmen, das eigentlich für fünf Mitarbeiter*innen ausgelegt war. Sie sagte zu mir: ‚Ich dachte, du meinst es ernst mit deiner Karriere – beweis’ es mir‘.“ Als die 40-Jährige darauf bestand, dass der Job nicht alleine zu stemmen sei, wurde sie fortan wie Luft behandelt und von Meetings ausgeschlossen. Zwei Monate vor Beginn ihres Mutterschutzes wurde sie freigestellt. „Meine Chefin wollte von heute auf morgen, dass ich gehe. Sie meinte: ‚Wir geben dir die extra Zeit, damit du dich entspannen kannst‘“, erzählt Julia. „Meine E-Mails wurden gekappt. Ich konnte es gar nicht fassen. Ich wollte meinen Klient:innen wenigstens kurz Bescheid geben, dass ich in vorzeitigen Mutterschutz gehe.“
Mobbing gegen Mütter
Als sie nach der Geburt wieder anfangen wollte zu arbeiten, wurde ihr nahegelegt zu kündigen. „Meine Chefin sagte es natürlich nicht mit diesen Worten, sondern meinte: ‚Deine Stelle haben wir aufgelöst. Es gibt also nichts mehr, zu dem du zurückkehren kannst‘“, so Julia. „Es war zunächst ein Schock. Ich war aber nicht gewillt, das einfach so hinzunehmen.“ Man bot ihr daraufhin zwei Dinge an. Das eine war eine Stelle mit 90 Prozent Reisetätigkeit. „Meine Chefin wusste natürlich ganz genau, dass ich das mit einem Baby nicht machen kann“, sagt Julia. Das andere wäre eine Stelle als Assistentin gewesen und damit eine deutliche Herabstufung ihrer Position. „Sie wollten mich degradieren. Und das, obwohl ich gute Arbeit gemacht und alle vereinbarten Ziele erreicht hatte“, ärgert sich die 40-Jährige. Am Ende schaltete Julia einen Anwalt ein, es kam zum Prozess. Über den genauen Ausgang dürfen wir nicht berichten. Nur so viel: Julia hat die Agentur verlassen. Ihr Fazit: „So bitter es auch ist, wie ich behandelt und hinausbefördert worden bin – für meine Gesundheit ist es das Beste, dass das Ganze ein Ende hat.“
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Wenn Psychoterror krank macht
Bianca ist für zehn Wochen in eine psychosomatische Klinik gegangen. „Ich war irgendwann total erschöpft“, sagt die Pädagogin. „Ich konnte nicht mehr einschlafen, nicht mehr durchschlafen. Ich habe mitunter wie aus dem Nichts angefangen zu weinen.“ In der Gruppentherapie fühlte sie sich erstmals verstanden und getragen: „Ich schilderte, was mir im Job widerfahren war, und sah nur Kopfnicken um mich herum.“
Mobbing schädigt die Gesundheit von Arbeitnehmer:innen – und schadet damit auch der Firma. Die Gründe liegen auf der Hand, sagt Siglinde Lösch: „Gemobbte Mitarbeiter*innen machen häufiger Fehler und sind nicht mehr so leistungsfähig wie vorher. Sie sind demotiviert und nicht mehr bereit, für die Firma, die sie nicht schützt, Überstunden zu leisten. Sie fallen krankheitsbedingt aus, Ersatz muss bezahlt werden.“
Wirtschaftliche Schäden
Der Deutsche Gewerkschaftsbund schätzt den volkswirtschaftlichen Schaden durch Mobbing auf 15 bis 25 Milliarden Euro pro Jahr.
Bianca fühlte sich nach dem Klinikaufenthalt stark genug, um zu kündigen und sich eine neue Stelle zu suchen. Heute geht sie wieder gern zur Arbeit. „Meines Erachtens liegt es an der Führungsebene, ob das Arbeitsklima gut oder schlecht ist“, sagt Bianca. „In meinem neuen Job spürte ich vom ersten Tag an, dass es ein ehrliches Interesse an mir und meinem Wohlbefinden gibt. Natürlich gibt es jetzt auch Konflikte, und mit manchen Mitarbeiter*innen komme ich besser aus als mit anderen, aber das hat nichts mit Mobbing zu tun.“
Viele Mobbingfälle enden in der Auflösung des Arbeitsvertrags. Das erlebt auch Siglinde Lösch so. Dennoch rät sie allen, mit dem Arbeitgeber zuerst andere Lösungen auszuloten, wie eine Mediation oder die Versetzung in eine andere Abteilung: „Ich finde es wichtig, dass der Arbeitgeber Verantwortung für die Konfliktbearbeitung übernimmt. Er ist gesetzlich dazu verpflichtet, seiner Fürsorgepflicht nachzukommen.“
Mobbing wirkt sich über kurz oder lang auch aufs Privatleben und die Beziehung oder Familie aus. „Dort beginnen dann die nächsten Konflikte und die Last wird immer größer“, weiß Lösch. Ihr eindringlicher Appell lautet: Schnell handeln und bei Bedarf Unterstützung holen!
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