Top-Jobs, hoher Druck, viel Verantwortung – und trotzdem das Gefühl: „Da geht noch mehr.“ Marie-Louise Hildebrand hat bei SAP, Hugo Boss und Porsche Design Karriere gemacht, globale Teams geführt und große Marken geprägt. Heute leitet sie den International Club Berlin – und schafft Räume, in denen Austausch, Wachstum und Sichtbarkeit kein Zufall sind. Im Gespräch mit finanzielle spricht sie über mutige Wechsel, unterschätzte Stärken – und warum Frauen aufhören sollten, sich kleinzumachen.

Marie-Louise, du hast eine beeindruckende Laufbahn hinter dir – von künstlicher Intelligenz in den 90ern bis zu globalem Retailmanagement bei Hugo Boss. Wie hat dein Weg in der Businesswelt begonnen?
Marie-Louise Hildebrand: Ich komme ursprünglich aus Heidelberg, habe Wirtschaft und Sprachen studiert – und bin früh in die IT-Branche eingestiegen. 1996 habe ich bei einem der ersten Unternehmen für eCommerce und künstliche Intelligenz gearbeitet – mit neuronalen Netzen und einem intelligenten Kühlschrank, den damals noch niemand ernst genommen hat. Heute ist das Realität.
Danach ging’s zur SAP: erst ins Fachmarketing einer Tochterfirma, dann ins Eventmarketing für SAP Deutschland – mit rund 300 Events im Jahr. Große Kongresse mit 2.500 Gästen, bei denen man improvisieren musste, wenn plötzlich das Mikro ausfiel. Das war fordernd, aber auch extrem lehrreich – Events sind für mich die Königsdisziplin des Marketings.
Trotzdem: Die Tech-Branche war mir irgendwann zu unemotional. Ich wollte mehr Lifestyle – und kam so zu Hugo Boss. Dort war ich vier Jahre lang für alle Stores für das weltweite Retailmarketing verantwortlich. Eine intensive Zeit mit vielen Reisen, großem Team und ganz unterschiedlichen Kulturen. Die Herausforderung: eine starke Marke wie Boss international konsistent zu halten – und gleichzeitig kulturelle Unterschiede zu respektieren. In Mexiko verkauft sich ein Look eben anders als in Tokio. Aber am Ende zählt, dass die Marke in sich stimmig bleibt.
Diese Kombination aus Strategie, Kreativität und internationalem Arbeiten war wahnsinnig spannend – aber mit der Geburt meiner Tochter war klar: Das viele Reisen geht so nicht mehr. Ich habe mich dann selbstständig gemacht und Dorothee Schumacher in Mannheim im Marketing unterstützt – ein großes Glück. Ich durfte dort die Expansion begleiten, etwa den ersten Pop-up-Store in Berlin.
Danach wollte ich die andere Seite kennenlernen – Multibrand statt Monobrand – und bin zu Peek & Cloppenburg nach Düsseldorf gewechselt. Dort habe ich das Visual Marketing und Interieur Design europaweit verantwortet. Große Flächen, viele Marken – das war nochmal eine ganz neue, aber sehr lehrreiche Perspektive.
Wie hast du dich in deiner Zeit bei SAP als junge Frau in Führungsposition durchgesetzt?
Das war wirklich tough. Ich war 29, übernahm ein Team mit 20 Personen, viele davon deutlich älter und langjährige SAPler:innen. Mein damaliger Chef war Unternehmensberater – er sagte beim Start zu mir: „Dieser Job bedeutet Blut, Schweiß und Tränen.“ Und genauso war es. Ich musste mich beweisen, habe Konzepte entwickelt, Events mit Tausenden Gästen umgesetzt, Designsysteme eingeführt. Es war zahlengetrieben, international – ein enormer Druck. Aber ich habe gelernt: Nicht alle müssen dich mögen. Es zählt, was du aufbaust. Auch Abschiede gehören dazu – sauber übergeben, Haltung bewahren. Das war mein Anspruch. Auch, wenn’s hart war: Ich bin daran gewachsen.
Du hast viele Führungspositionen übernommen – das ist ein 24/7-Job. Wie hast du das mit Familie vereinbart?
Es war oft ein Balanceakt – besonders, wenn mein Kind krank war und gleichzeitig ein wichtiger Termin anstand oder eine Dienstreise geplant war. Ich habe mich in vielen Situationen bewusst für mein Kind entschieden. Heute ist das vielleicht etwas leichter geworden – zumindest theoretisch. In der Praxis ist es aber nach wie vor eine Herausforderung.
Für meine Zeit bei Peek & Cloppenburg war ich fast drei Jahre in Düsseldorf – aber das Reisen blieb ein Thema. Also bin ich nach Berlin gezogen, habe kleinere Projekte betreut, bis dann der Anruf kam: Ob ich Porsche Design beraten wolle. Zuerst als externe Unterstützung, dann habe ich den Bereich Trade Marketing und Design übernommen.
Du klingst, als würden Jobs dir regelmäßig ins Leben flattern …
(lacht) Ja, tatsächlich. Ich habe mich in meiner Karriere nur einmal aktiv beworben – bei Hugo Boss. Alles andere kam über mein Netzwerk, meist über Frauen. Meine ehemalige SAP-Chefin kannte Dorothee Schumacher, so kam der Kontakt zustande. Und auch bei Porsche Design war es wieder so: Ich wohnte in Berlin, flog aber regelmäßig nach Stuttgart – aufstehen um 3:30 Uhr, mit Au-pair im Hintergrund. Das ging eineinhalb Jahre, bis wieder klar war: Ich will strategisch arbeiten – aber nicht ständig um die Welt fliegen. Wir haben in der Zeit viel bewegt, ein starkes Team aufgebaut, Trade Marketing strukturiert – und ich konnte Verantwortung übergeben.
Nach deiner Zeit bei Porsche Design ging es für dich in die Uhrenwelt – wie kam das?
Ich kam zuerst als Beraterin zu Nomos Glashütte – eine Marke, die ich sehr schätze: feine Uhrmacherkunst, klares Design, ein Einstiegspreis, der die Manufaktur für viele erschwinglich macht. Danach rief mich eine frühere Kollegin zu A. Lange & Söhne – quasi das andere Ende der Uhrenpyramide. Dort war ich interimistisch als Mitglied der Geschäftsführung für das Marketing zuständig. Diese Marke ist echtes High-End-Handwerk: Ein winziges Uhrenteil wird dort stundenlang von Hand poliert. Das ist gelebte Präzision.
Lies auch:

Gründerinnen im Interview: So geht Business!
Die trauen sich was: Unsere Gründerinnen erzählen spannende Geschichten über ihr Business und haben Tipps für Start-ups!
Wie wichtig war für dich das persönliche Netzwerk?
Extrem. Ich habe mich nur einmal in meinem Leben selbst auf einen Job beworben – bei Hugo Boss. Alle anderen Positionen kamen über Empfehlungen. Alte Weggefährtinnen, Chefinnen, Kolleg:innen – viele Türen öffnen sich durch gute Beziehungen. Und dank Social Media bleiben diese Kontakte heute auch lebendig. Man gratuliert sich, tauscht sich aus, bleibt sichtbar. Früher wären diese Menschen aus dem Blickfeld verschwunden – heute sind sie ein Teil des Netzwerks.
Du bist also immer wieder in große Rollen reingerutscht. Gab es trotzdem einen Moment, in dem du dir selbst Raum nehmen wolltest?
Ja – unbedingt. Nach all den intensiven Jahren habe ich mir ganz bewusst eine kreative Auszeit genommen. Ich habe mein ganzes Leben lang gemalt – neben meinen Führungspositionen. Irgendwann war der Punkt da, an dem ich sagte: Jetzt lebe ich meine Kunst. Ich habe mir eine Villa in Potsdam gemietet, dort ein Atelier und einen Showroom eingerichtet – und tatsächlich ein Jahr komplett von meiner Kunst gelebt. Das war eine wunderschöne Zeit: Ich war zu Hause, hatte mein Kind bei mir, mein Atelier unter dem gleichen Dach. Eine kreative Pause, die mir sehr viel gegeben hat. Und Kunst ist meine Seele. Ich glaube, wir alle haben zwei Anteile in uns: den analytischen, vernünftigen – und den emotionalen, kreativen. Bei mir war dieser kreative Teil immer da. Lange habe ich ihn unterdrückt, aber irgendwann wollte er sichtbar werden. Und ich wusste: Wenn ich es nicht jetzt mache, dann werde ich mich irgendwann fragen: Warum hast du es nie probiert?
Lies auch:

Verena Schlüpmann von K5 Female Circle: Netzwerke verändern alles
Verena Schlüpmann ist Geschäftsführerin bei K5 und Initiatorin des Female Circle. Welche Learnings sie aus den Gesprächen mit Top-Managerinnen, Gründerinnen und Investorinnen mitgenommen hat, verrät sie uns im Interview.
Du malst abstrakt – warum gerade diese Form? Was macht deine Kunst aus?
Weil meine Bilder nicht nur darstellen, sondern etwas auslösen sollen. Sie erzählen keine offensichtlichen Geschichten, sondern fordern zur Interpretation auf. Ich arbeite mit mehreren Schichten und viel Gold – das verändert sich je nach Licht und Tagesstimmung. Das Bild lebt mit dem Raum und mit dir. Es zeigt dir immer wieder etwas Neues. Wie das Leben eben.
Und heute bist du Geschäftsführerin im International Club Berlin e.V. – wie kam das?
Das Haus, in dem mein Atelier war, sollte verkauft werden. Und dann – wie so oft – klopfte das Leben an. Der Vorstand des Clubs, den ich seit 2008 als Mitglied kenne, fragte, nach einem Wechsel in der Geschäftsführung, ob ich interimistisch übernehmen möchte. Das ist jetzt zwei Jahre her. Ich liebe diesen Ort – er hat eine unglaubliche Strahlkraft, Geschichte und bringt großartige Menschen zusammen, ist eine echte Plattform für Transformation und Internationalität.
Inwiefern hat dich deine Geschäftsführerin Tätigkeit beim International Club Berlin selbst geprägt?
Der Club ist für mich ein Ort voller Aura und Inspiration. Ich führe hier zum Beispiel die Aufnahmegespräche mit neuen Mitgliedern – und bin jedes Mal beeindruckt, wie viele kluge, kreative und mutige Menschen in Berlin unterwegs sind. Das prägt natürlich auch mich. Ich sehe, wie viel Potenzial da ist – besonders bei Frauen, die Familie und Beruf meistern. Genau deshalb wollen wir den Club weiterentwickeln: Mehr Austausch, mehr Sichtbarkeit, mehr echte Verbindungen. Mit Formaten wie „Meet & Connect“, wo Mitglieder sich in kurzen Gesprächen kennenlernen, entsteht genau das. Wer will, kann netzwerken – wer Ruhe sucht, findet hier aber genauso seinen Rückzugsort. Und das ist für mich wahre Qualität.


Was möchtest du als Geschäftsführerin im Club künftig noch vorantreiben?
Ein großes Ziel ist es, den Club als Plattform weiterzuentwickeln – und zwar nicht nur durch äußere Verschönerungen, sondern inhaltlich. Wir haben ein wunderschönes Gelände, ein historisches Gebäude mit Tennisplätzen, großem Pool und viel Charme mitten in Berlin, aber das Herzstück sind die Menschen. Deshalb bauen wir Formate aus, geplant ist z. B. ein Business Ladies Talk, um Frauen besser zu vernetzen. Ich finde: Frauen dürfen sich noch viel öfter gegenseitig sichtbar machen. Außerdem planen wir neue digitale Angebote wie eine Mitglieder-App mit Kanälen für Interessen, um den Austausch noch leichter zu machen. Formate wie Meet & Connect, unser Speed-Networking, kommen super an. Und gleichzeitig bleibt der Club ein Rückzugsort – für alle, die Ruhe statt Kontakte suchen.
Warum tun sich Frauen mit Netzwerken und Selbstvermarktung oft schwer – und wie können wir das ändern?
Wenn wir für andere verhandeln, sind wir klar und souverän. Aber wenn’s um uns selbst geht – vor allem bei Herzensprojekten – werden wir weich. Leidenschaft wird oft mit „gerne umsonst“ verwechselt. Gerade deshalb müssen Frauen lernen, ihren Wert zu kennen und zu vertreten.
Wir Frauen sollten uns mehr trauen und weniger zögern. Männer sagen schneller „Was krieg ich dafür?“, Frauen eher: „Meinen Sie wirklich, ich kann das?“ – und das müssen wir ändern. Auch untereinander. Frauen sollten sich mehr supporten als kritisieren. Netzwerke sind kein Luxus, sondern Notwendigkeit – besonders für Frauen. Und ich glaube an Räume, in denen Frauen unter sich neue Stärke finden. Aber eben auch an Formate, die beide Geschlechter zusammenbringen. Am Ende geht es nicht um Trennung – sondern um Begegnung auf Augenhöhe.
Wenn du heute auf deine Karriere zurückblickst – was war dein klügster Move?
Es war nie der eine große Schritt, sondern ein Zusammenspiel vieler mutiger Entscheidungen. Ich bin oft ins Unbekannte gegangen, habe Umzüge in Kauf genommen, Risiken angenommen – aber jeder Schritt hat mich weitergebracht. Wichtig ist: überhaupt loszugehen. Nicht ewig zu überlegen, sondern machen. Und ja, meine Bewerbung bei Hugo Boss war sicher ein prägender Moment. Das hat mir nicht nur beruflich, sondern auch im Netzwerk ganz neue Türen geöffnet.
Karriere und Finanzen sind ja eng miteinander verknüpft. Was bedeutet finanzielle Unabhängigkeit für dich? Gab es Entscheidungen, bei denen Geld eine Rolle gespielt hat?
Finanzielle Unabhängigkeit ist für mich essenziell – gerade für uns Frauen. Es geht nicht nur ums Geld, sondern um Freiheit und Sicherheit. Ich glaube, viele Frauen entscheiden eher nach dem Herzen als nach dem Kontostand – und das ist auch schön. Denn wenn man mit Leidenschaft arbeitet, kommt der finanzielle Erfolg meist von allein. Wichtig ist, den eigenen Weg zu gehen und sich selbst ernst zu nehmen.
Wie kam bei dir das Bewusstsein dafür? Wurde dir das in die Wiege gelegt?
Nein, im Gegenteil. Mein Elternhaus war noch sehr klassisch geprägt – mein Vater ist inzwischen 94, meine Eltern leben ein eher traditionelles Rollenmodell, das für sie funktioniert hat. Aber mir war schon als Teenager klar, dass ich das für mich ändern möchte.
Ich erinnere mich gut an eine Szene: Ich war 13 oder 14 und sagte zu meiner Mutter, dass ich später mal ein altes Cabrio haben möchte. Und ihre Antwort war: „Aber dann bist du ja abhängig – das muss dir doch dein Mann finanzieren.“ Und ich dachte nur: Wie bitte? Mein Mann?! Nein, das kaufe ich mir selbst. Und ich habe es dann später tatsächlich getan – ein Jaguar-Cabrio.
Ich glaube, da war für mich klar: Ich will auf eigenen Füßen stehen. Deshalb bin ich nach dem Studium auch alleine nach New York gegangen. Und das war alles andere als glamourös. Ich war komplett auf mich gestellt – aber ich habe mich durchgebissen. Die erste Zeit lang habe ich mich selbst organisiert, mich durch teils katastrophale Wohnsituationen gekämpft, bis es hieß: „Okay, du bekommst einen Job.“
Und durch all diese Erfahrungen weiß ich heute: Ich kann mich auf mich selbst verlassen. Und genau das wünsche ich jeder Frau – dieses Selbstverständnis, unabhängig zu sein und sich nicht zu klein zu machen.

Und wie bist du heute finanziell aufgestellt – eher Team Aktien, ETFs oder Krypto?
Ein bisschen Aktien, ja – aber ich glaube, da geht noch mehr. Wie bei vielen Frauen ist das Thema bei mir lange ein bisschen liegen geblieben. Natürlich habe ich eine gewisse Absicherung, auch durch Versicherungen – aber als ich damals beschlossen habe, mich ganz meiner Kunst zu widmen, war das auch ein finanzielles Risiko. Ich habe einen Teil meines Kapitals eingesetzt, um mir diesen Raum zu schaffen. Und es hat funktioniert – aber man braucht Mut.
Wenn du deinem jüngeren Ich einen Rat mitgeben könntest – was würdest du sagen?
Trau dich früher, an dich selbst zu glauben. Das merke ich auch heute im Austausch mit meiner Tochter – diese Generation ist so viel klarer, selbstbewusster. Sie weiß, was sie will, und hat kein Problem, das auch zu sagen. Ich hätte das früher auch manchmal gebraucht. Ich war immer gut darin, andere und ihre Marken zu vermarkten. Aber wenn es um mich und meine Kunst geht, ist das plötzlich ganz anders.