An den Aktienmärkten rumpelt es, die Inflation steigt und die Notenbanken haben die Zinswende eingeläutet. Die Rahmenbedingungen ändern sich also grundlegend.
Was wird jetzt aus dem Anlage-Tipp: Breit gestreut, niedrige Kosten, am besten einen ETF auf den Weltaktienindex MSCI World? Sind ETFs kein Selbstgänger mehr? Genau, aber das ist keine Katastrophe, sagt Christina Bannier, Professorin für Banking & Finance in Gießen. Sie meint: Wir können trotzdem gute Anlageentscheidungen treffen. Nur müssen wir stärker überlegen, welche Aktien und Fonds in Zukunft Erfolg versprechen. Im Interview erklärt uns Christina Bannier, wie das geht.
Die Inflation steigt auf ungekannte Höhen. Worauf müssen wir uns einstellen?
Christina Bannier: Der Inflationsprozess, der wahnsinnig schnell gekommen ist, wird noch anhalten. Dass die Inflation so rasant angestiegen ist, erschwert den Umgang mit der Situation. Zu diesem schnellen Anstieg der Inflationsraten haben eher ungewöhnliche Faktoren beigetragen. Das haben wir in dieser Konstellation so noch nicht erlebt. Normalerweise entsteht ja eine Inflation durch eine überhitzte Wirtschaft. Sprich: Es geht allen gut, wir kaufen viel, wir bauen Häuser, die Firmen investieren. Das treibt typischerweise die Inflation. Die Inflation, die wir in diesem Jahr erleben, hat andere Ursachen: Es geht uns nicht so gut, wir haben gerade viele Krisen erlebt wie die Corona-Pandemie und den Kriegsausbruch in der Ukraine. Das waren nicht unbedingt wirtschaftliche Krisen, sie haben sich aber auf unser wirtschaftliches Leben ausgewirkt.
Was ist Inflation?
Ein Wert für die Preissteigerung. Das Wort stammt aus dem Lateinischen und heißt wörtlich übersetzt „aufblasen“ oder „aufblähen“. Um die Inflation zu berechnen, vergleicht man den Preis für einen Warenkorb mit ganz bestimmten Produkten mit dem Preis, den man ein Jahr zuvor dafür bezahlt hat.
Das heißt, es war auch für Expert:innen überraschend, dass die Inflation so anzieht?
Ja, das ist eine ganz schwierige Gemengelage. Das vorherzusagen, ist niemandem gelungen. Die Pandemie und die weltweiten Lockdowns haben zu Störungen in den globalen Lieferketten geführt, die bis heute nachwirken. Aber in dem Ausmaß hatte das niemand auf dem Radar. Zugleich haben wir uns alle in der Pandemie sehr zurückgezogen. Die Erwartung war, dass wir, wenn das normale Leben zurückgekehrt, versuchen werden, so viel wie möglich nachzuholen von dem, was wir versäumt haben. Das ist so nicht eingetreten. Einige Firmen haben jetzt Schwierigkeiten, weil sie die Nachfrage falsch prognostiziert haben. Viele Händler zum Beispiel sitzen auf hohen Lagerbeständen. Und auch den Zentralbanken fällt es schwer, damit umzugehen. Die EZB hat zum Beispiel lange gezögert, bis sie sich entschlossen hat, die Zinsen anzuheben.
So lange die Zinsen historisch niedrig waren, galten Aktien für Renditen als alternativlos. Nun gab es in diesem Jahr an den Börsen Kursturbulenzen. Wie muss ich als Anleger:in jetzt umdenken?
Man muss definitiv genauer hinsehen und abwägen. Wir werden nicht schon im nächsten Jahr zurückkehren zu einem Niveau wie vor drei oder vier Jahren, als die Teuerungsrate gering ausfiel, das Geld billig war und wir alle getrost konsumieren konnten.
Christina Bannier ist Professorin für Banking & Finance an der Justus-Liebig-Universität Gießen. Zu ihren Forschungsbereichen zählen Nachhaltigkeit und Corporate Governance, Finanzwissen und Finanzberatung.
Heute müssen wir uns genauer anschauen, wie es den Unternehmen geht, in die wir an der Börse investieren. Welche Unternehmen stecken denn in meinem Fonds drin? Welche Art von Geschäft machen die? Schätzen wir, dass diese Branche in der Zukunft relevant sein wird? Im besten Fall schauen wir auf das einzelne Unternehmen. Auf den ersten Blick wirken diese Fragen vielleicht abstrakt. Aber ich denke schon, dass sich jede:r einzelne da Gedanken machen kann.
Meist wurde zu einem ETF geraten, am besten weltweit gestreut auf den MSCI World. Und jetzt?
ETFs sind extrem kostengünstig. Das ist ihr großer Vorteil – und der bleibt natürlich. Diversifizieren ist auch immer ein guter Ratschlag. Aber man muss auch ganz klar sagen: Wer im Moment breit gestreut weltweit angelegt hat, der hat dabei sehr stark in große Technologieunternehmen investiert. Warum? Weil diese Unternehmen sehr groß sind, eine große Marktkapitalisierung haben und daher ganz automatisch auch sehr stark in den Fonds vertreten waren. Jetzt haben wir hier eine sehr spannende Situation: Viele der Technologieunternehmen gerade aus den USA laufen im Moment nicht mehr so gut. Wer also nach wie vor in einen globalen ETF investieren will, in dem die großen US-Techfirmen vertreten sind, sollte sich das schon genauer ansehen und sich der Frage stellen, was diese Unternehmen eigentlich gerade umtreibt und wo sie in fünf bis zehn Jahren sein werden. Werden diese Produkte noch gebraucht? In der jetzigen Situation ist man gezwungen, darüber nachzudenken. Und das finde ich einen guten, heilsamen Prozess.
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Sollte man dann lieber auf einen anderen Index setzen?
Ich persönlich würde bei einer breiten Streuung bleiben. Aber ich würde auf Branchen schauen und mich fragen: Was brauchen wir in der Zukunft? Wir leben in einer Welt, in der wir große Trends und Risiken sehen, die sich langfristig auswirken werden. Zum Beispiel der Klimawandel: Alles, was uns in der Zukunft unterstützen wird, den Klimawandel einzudämmen oder uns daran anzupassen, wird gefragt sein. Zugleich stellt sich die Frage, ob wir noch so viele Konsumprodukte brauchen wie in der Vergangenheit, in der das Geld günstig war. Ist das noch eine gute Branche, um zu investieren? Wie sieht es mit der Digitalisierung aus, auch das ohne Zweifel ein Zukunftstrend. Was sind da die Produkte, welche Unternehmen sind hier chancenreich?
Wenn ich jetzt auf Festgeldanlagen wieder etwa drei Prozent Zinsen bekommen kann, warum soll ich mir dann so viele Gedanken um ein Aktieninvestment machen? Ein Festgeldkonto ist viel einfacher und sicherer – was sagen Sie zu dieser Argumentation?
Das ist Augenwischerei. Zwar steigen die Zinsen, aber sie hinken deutlich hinter der Inflationsrate her. Damit haben wir bei Sparanlagen wie Festgeld real immer einen negativen Zins, weil die Inflation ja viel, viel höher ist.
Kommen andere Investments in Frage? Was ist mit Immobilien – hält das der Inflation stand?
Der Immobilienmarkt in Deutschland ist in den letzten Jahren gut gelaufen, die Werte sind deutlich gestiegen, aber nicht so stark wie im Ausland. Das heißt, wir werden wahrscheinlich auch keinen großen Einbruch erleben. Auf der anderen Seite sind die Bauzinsen dramatisch gestiegen und wenige Monate alte Berechnungen, wie hoch die Summe sein darf, die ich monatlich aufbringen muss, damit ich einen Immobilienkredit in einer gewissen Höhe zahlen kann, sind überholt. Da muss ich mittlerweile teilweise das Doppelte zahlen, um dieselbe Kreditsummen zu finanzieren. Durch die Inflation sind außerdem die Baupreise stark gestiegen. Baumaterialien sind sehr teuer geworden. Das macht einen Neubau schwerer zu finanzieren. In der Energiekrise sind aber auch die Kosten für ältere Immobilien neu zu bewerten: Eine energetische Sanierung kann sehr teuer werden. Wenn ich mich dagegen entscheide, habe ich unter Umständen aber sehr hohe Heizkosten. Mit anderen Worten: Ein Immobilieninvestment ist in diesen Zeiten nicht so einfach.
Gold gilt in Krisen als sicherer Hafen. Was sagen Sie?
Gold ist am Ende ein Investment wie jedes andere auch. Der Wert wird getrieben durch die Knappheit. Wie groß wird die Nachfrage in der Zukunft sein? Das sollte bestimmen, ob ich da investieren möchte. Für die wenigsten Privatpersonen ist ein Investment in Gold eine wirklich sinnvolle Option.
Der Euro gibt nach, die Inflation frisst das Geld. Was ist mit Kryptowährungen, wäre das eine Lösung?
Ich verstehe die Technologie, ich kann die Logik dahinter nachvollziehen, aber ich kann das fundamentale Bewertungskonzept der Kryptowährungen nicht nachvollziehen. Ich verstehe es nicht. Deshalb würde ich da nicht investieren. Was ich nicht verstehe, das kaufe ich nicht.
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Bieten andere Anlagemöglichkeiten Schutz vor der Inflation? Was ist mit Unternehmensanleihen oder Rohstoffen?
Bei Anleihen habe ich wieder das Problem, dass mir ein Nominalwert, also ein fester Wert versprochen wird – und das ist in Zeiten hoher Inflationsraten eher ungünstig.
Rohstoffinvestments sind sehr spannend, aber auch ganz schön komplex. Da muss ich sehr genau die volkswirtschaftlichen Ströme und geopolitischen Aspekte hinter den globalen Lieferketten verstehen, um in diesem Bereich sinnvolle Anlageentscheidung treffen zu können. Ich glaube, das wird den Anlagehorizont von fast jeder und jedem Privatanleger:in sprengen.
Ihre Empfehlung, bei Aktien genauer auf die Branche oder das Unternehmen zu schauen, ist aber auch nicht leicht umzusetzen.
Das ist nicht einfach, ja, das gebe ich zu. Aber wir fällen jeden Tag Konsumentscheidungen und kaufen Sachen. Warum sollten wir die Logik dahinter nicht auf Anlageentscheidungen übertragen? Beispiel: Ich will mir ein neues Smartphone kaufen. Da habe ich Ideen im Kopf. Mit diesen Ideen kann ich auch bei der Entscheidung für eine Anlage arbeiten. Ich möchte die Leute ermutigen, sich an dieser Stelle Gedanken zu machen. Ich glaube, dass wir das können. Wir treffen jeden Tag Entscheidungen in unserem wirtschaftlichen Leben und das trauen wir uns auch zu. Ja, manchmal ist es eine Bauchentscheidung, aber das muss ja nicht das Schlechteste sein. Bei Geldanlage-Entscheidung sagen wir oft viel zu schnell, das ist zu kompliziert, das kann ich nicht. Aber ich glaube, das stimmt nicht. Wir müssen uns das zutrauen und es wirklich wollen. Natürlich können wir uns informieren und uns eine Meinung bilden.
Es bleibt uns auch gar nichts anderes übrig. Denn wir leben nicht mehr in Zeiten, in denen das Geld einfach fließt, in denen unsere Gehälter unbedingt ausreichen und unsere Renten schon gar nicht. Wir müssen uns mit diesen Dingen auseinandersetzten.
Und da kommen wir um Aktien nicht herum?
Man muss ja umgekehrt sagen, dass Aktienanlagen eins der besseren Instrumente in Zeiten stark steigender Inflation sind. Denn bei festverzinslichen Geldanlagen erhalte ich bestimmte nominale Erträge. Aber wenn diese nominalen Erträge für mich real weniger Wert werden wegen einer hohen Inflationsrate, dann habe ich da gar nichts gewonnen.
Aktien sind dagegen Sachwerte und bieten eine Ankopplung an reale Geschäfte. Das heißt, wenn es der Firma gut geht, dann habe ich eine höhere Rendite, weil der Kurs steigt.
Damit besteht zumindest die Chance auf eine höhere Rendite, die mit der Inflationsrate mithalten kann.
Genau. Und auch dieses Phänomen, den Unterschied zwischen nominal und real, kennen wir alle! Das erleben wir täglich an der Supermarktkasse, jede:r von uns. Das monatliche Gehalt ist nicht gestiegen, aber an der Supermarktkasse muss ich auf einmal mehr davon ausgeben. Am Ende bleibt weniger vom Gehalt übrig. Ich finde, wir zwingen uns nur nicht genug, den Unterschied auch zu realisieren und anzuwenden. Da bin ich dann die Finance Professorin, die die Leute ganz penetrant immer wieder daran erinnert, dass sie das eigentlich können!