Karina Metzdorf ist Kolumnistin bei finanzielle.de und schreibt in Pinkvestiert über Aktien
Foto: Angelika Graf

Jetzt aussteigen? Warum dein USA-Investment längst zur KI-Wette geworden ist

Die letzten Tage waren ein Lehrbuchbeispiel dafür, wie sensibel die Märkte inzwischen auf jede Bewegung im KI-Kosmos reagieren. Welche Entscheidung ist nun am sinnvollsten für deine Anlagestrategie?

Nvidia meldete fantastische Zahlen: Umsatz, Gewinn, Ausblick waren allesamt überragend. Die Aktie sprang sofort 5 % nach oben … nur um kurz darauf alles wieder abzugeben und den gesamten Markt mit nach unten zu ziehen.

Schlechte Nachrichten? Keine. Fundamentale Gründe? Fehlanzeige.

Was wir sehen, ist reine Psychologie in einem Markt, der viel stärker konzentriert ist, als viele denken. Und genau hier beginnt die Geschichte dieser Kolumne.

Der S&P 500: Vom Rechenwunder zur KI-Wette


Als der S&P 500 am 4. März 1957 eingeführt wurde, war das eine technologische Revolution. Zum ersten Mal in der Geschichte der Finanzmärkte berechnete ein Computer einen Aktienindex. In Echtzeit! Der Herausgeber vom S&P 500, Standard & Poor’s, nutzte dafür neu entwickelte Rechenmaschinen von IBM. Erstmals konnten Kursdaten hunderter Aktien automatisiert verarbeitet und mehrmals täglich aktualisiert werden!

Was heute selbstverständlich klingt, war damals Hightech pur: eine Verbindung aus Wall Street und Technologie, lange bevor es das Silicon Valley überhaupt gab. Erst dieser technische Fortschritt machte es möglich, einen Index mit so vielen Aktien ständig aktuell zu halten, eine Basis für den späteren Siegeszug der ETF. Der S&P 500 war also schon immer mehr als ein Börsenbarometer: Er war das erste digitale Abbild der US-Wirtschaft.

Fast siebzig Jahre später schließt sich der Kreis

Heute sind es wieder Maschinen, die den Markt antreiben. Nur sind es diesmal keine IBM-Rechner, sondern Rechenzentren voller KI-Chips von Nvidia, die an der Börse den Takt angeben. Und wieder geht es um Technologie, Geschwindigkeit und Rechenpower.
Nur dass der S&P 500 heute kein Abbild von 500 Unternehmen mehr ist, kein Gradmesser für die gesamte US-Wirtschaft, kein breites Stück Weltmacht im Depot, sondern eine Wette auf nur sieben von ihnen: Apple, Microsoft, Amazon, Alphabet, Meta, Nvidia und Tesla.

Gemeinsam machen sie fast 40 Prozent des S&P 500 aus. Die restlichen 493 Unternehmen haben kaum noch Einfluss auf seine Entwicklung. Was einst als Spiegelbild der amerikanischen Wirtschaft galt, ist heute eine gebündelte Wette geworden: auf den KI-Boom.

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Die „Magnificent Seven“ bilden das Rückgrat des aktuellen Börsenzyklus. Sie alle teilen dieselbe Vision, das gemeinsame Zukunftsversprechen, an das der Markt gerade glaubt: Künstliche Intelligenz.

Sie investieren Milliarden von Dollar in Rechenzentren und Energieinfrastruktur, um den Hunger nach Rechenleistung zu stillen. 100 Milliarden Dollar scheint inzwischen die kleinste Einheit zu sein, in der Rechenzentren überhaupt gehandelt werden. Von der Künstlichen Intelligenz versprechen sie sich eine Revolution, die Produktivität, Werbung, Kommunikation und ganze Industrien verändern soll.

Während sie alle vom selben Traum angetrieben werden, hängen sie aber doch eng voneinander ab. Alle kaufen Nvidias Chips für ihre Rechenzentren, in denen OpenAIs ChatGPT-Modelle laufen – Modelle, die wiederum auf eben diesen Chips trainiert werden.
Es ist ein gigantisches Ökosystem aus Erwartungen, Kooperationen und gegenseitiger Abhängigkeit, ein Kreislauf aus Rechenleistung, Daten und Strom.

Wenn alles funktioniert, entsteht eine neue Infrastruktur, aus der Gewinne in nie dagewesenem Ausmaß sprudeln könnten. Wenn nicht, bleibt vor allem eines: ein massives Klumpenrisiko, gebündelt in den sieben größten Positionen des S&P 500.

Kein Wunder also, dass sich der Index mittlerweile fast synchron mit den Kursen von Nvidia und Microsoft bewegt. Steigt einer der beiden, steigen alle. Schwächelt einer, wackelt der Markt.

Wie ein nicht-börsennotiertes Unternehmen die Wall Street antreibt

Das vielleicht Bemerkenswerteste an dieser KI-Rally ist, dass ihr Auslöser selbst gar nicht an der Börse notiert ist: OpenAI, das Unternehmen hinter ChatGPT, ist keine Aktie, die du kaufen kannst. Trotzdem bestimmt es täglich die Stimmung an der Wall Street. Jede neue Version seiner Sprachmodelle, jede Produktdemo, jede Partnerschaft oder Ankündigung von „künstlicher Superintelligenz“ löst Kursbewegungen in Billionenhöhe aus. OpenAI ist zum Zentrum eines Netzwerks geworden, in dem Erwartungen und Emotionen oft stärker wirken als Gewinne und Bilanzen. Ein System, das aus gegenseitiger Verstärkung lebt: steigt einer der Mag 7, steigen alle, und Anleger fühlen sich bestätigt, weiter auf KI zu setzen. In dieser Spirale aus Hoffnung, Technologie und Kapital zeigt sich kein völlig neues Phänomen, aber eine neue Dimension davon: Narrative haben die Börsen schon immer bewegt. Doch nie zuvor verbreiteten sie sich so rasant, wurden so schnell in Kurse übersetzt und von Algorithmen verstärkt. Und das derzeit mächtigste dieser Narrative lautet: „KI verändert alles.“

Das Risiko hinter der Euphorie

Solange die Musik spielt, solltest du aufstehen und tanzen, ist eine Börsenweisheit.

Noch läuft die Musik. Und wie! Die Kurse tanzen, die Gewinne sprudeln, die Euphorie ist ansteckend. Künstliche Intelligenz ist das neue Internet, das neue Öl, das nächste große Ding. Da will niemand zu früh von der Tanzfläche gehen und Rendite versäumen.

Aber je lauter die Musik, desto kleiner wird der Raum: Wenn nur sieben Aktien fast 40 Prozent des S&P 500 ausmachen, ist die Streuung dahin. Was wie Diversifikation aussieht, ist in Wahrheit Konzentration.

Und schon wackelt die Tanzfläche ein wenig:

Nvidia verlor zeitweise zehn Prozent, Palantir sogar kurzzeitig vierzehn, obwohl die gemeldeten Quartalszahlen gut waren. Noch kein Crash, nur ein kleiner Stolperer im Takt der KI-Rally. Diese Nervosität zeigt, wie empfindlich der Markt geworden ist, wenn nur einer der großen Hoffnungsträger aus dem Tritt gerät.

Stell dir in diesem Szenario Lieferengpässe bei Nvidia vor. Oder steigende Strompreise, geopolitische Spannungen, politische Eingriffe in KI-Regulierung oder einen Wissenschaftler, der die KI-Modelle mit wesentlich weniger Aufwand (= Chips) trainieren kann: schon wackelt der gesamte Index.
Denn wenn alle denselben Traum handeln, gibt es auch nur eine Richtung, in die alle gleichzeitig rennen können: nach unten.

An der Börse gilt: Je perfekter die Geschichte, desto verletzlicher das System dahinter.
Und im Moment ist die KI-Story perfekt. Vielleicht zu perfekt.

Strategien gegen das Klumpenrisiko

Die Tanzfläche wird enger, die Musik lauter. Jetzt ist ein guter Zeitpunkt um dich darauf vorzubereiten. Verlasse noch nicht die Tanzfläche, aber wechsle die Schuhe.

Es gibt mehrere Wege, dein Depot in dieser Situation robuster aufzustellen:

  1. S&P 500 Equal Weight ETF

Hier zählt jedes Unternehmen gleich viel. Egal, ob es Nvidia oder eine kleinere Regionalbank ist: jedes dieser Unternehmen steckt mit 0,2 % im Index.

Die „Magnificent Seven“ verlieren dadurch an Dominanz, und die restlichen 493 Aktien bekommen endlich wieder Gewicht. Solche ETFs entwickeln sich vor allem dann gut, wenn nicht mehr nur Tech gefragt ist, sondern die breite Wirtschaft wächst.

  1. MSCI World ex USA ETF

Wenn du deinen US-Anteil ganz bewusst steuern willst, kannst du die Vereinigten Staaten gezielt ergänzen. Dann setze ein Gegengewicht zum S&P 500, indem du mit einem MSCI World ex USA auf die Industrieländer außerhalb der USA setzt. 

So gewinnen Europa, Japan oder Kanada wieder Raum im Depot, mit eigener Währung, eigenen Zyklen und weniger KI-Abhängigkeit.

Das reduziert nicht nur Klumpenrisiken, sondern bringt auch Währungsdiversifikation.

  1. Faktor-ETFs als Gegengewicht

Value, Quality oder Low Volatility sind Strategien, die auf bewährte, unterbewertete oder defensivere Unternehmen setzen. Sie laufen oft dann besser, wenn die Tech-Euphorie Pause macht.

So bleibt dein Depot ausgewogener, ohne dass du dich komplett vom Trend verabschieden musst.

Denn wer die Risiken streut, kann gelassen weiter mittanzen.

Wenn die Musik stoppt

Noch läuft die Musik. Die Tanzfläche glüht, Nvidia gibt den Takt an, Microsoft dreht die Lautstärke auf. Und klar: Wer früh mittanzt, kann fantastische Renditen mitnehmen.

Aber wie bei jeder guten Party gilt: Du solltest wissen, wann Schluss ist.

Das heißt nicht, jetzt alles zu verkaufen und dich aus der KI-Euphorie zurückzuziehen. Sondern zu wissen, warum du investiert bist und wann du wieder gehen willst. Ein fester Plan, ein Stopp-Loss, eine klare Rebalancing-Strategie sind deine Notausgänge, wenn der Beat zu hektisch wird.

Genieß die KI-Party, aber bleib nah an der Tür.

Tanz mutig mit, solange der Takt stimmt – und geh mit einem Lächeln, bevor das Licht angeht.

Über Karina

Karina Metzdorf ist Elektrotechnikingenieurin, Hundemama und seit Jahren begeisterte Investorin an der Börse. Denn: „Ich wollte nicht bis zum Renteneintrittsalter arbeiten, sondern bereits früher ausscheiden und um die Welt reisen können.“ Diese Erkenntnis hat bei der heute 45-Jährigen nicht nur dafür gesorgt, dass das Investieren in Aktien, ETFs, Anleihen, Kryptowährungen und andere Anlageklassen ihr Hobby wurde – sie hat
auch, als ihr klar war, dass die meisten ihrer Freundinnen das ihrem Mann überlassen, die Website Börse in Pink gegründet.

Karina Metzdorf
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